Dies ist das Motto der Bankräuber aus der Hitserie Haus des Geldes. Dank Building Information Modelling gilt es künftig auch für Unterhalt, Ausbau und Betrieb der Bahninfrastruktur.
Die Handlung der meistgeschauten nicht-englischsprachigen Netflix-Serie ist schnell erzählt: Eine Gruppe von Bankräubern überfällt die spanische Notendruckerei. Dank Codenamen und Masken sind sie für einander und ihre Geiseln anonym. Natürlich geht einiges schief. “Haltet euch an den Plan”, kriegen die Kriminellen von ihrem Anführer immer wieder zu hören.
Dieselbe Aufforderung gilt für Bahninfrastruktur-Betreiberinnen (ISB) und ihre Auftragnehmer. Welches Baujahr hat eine Weiche? Welche Fahrleitung muss für Unterhaltsarbeiten geerdet werden? Wo verläuft der Kabelkanal? Dies alles ist auf Plänen ersichtlich (oder sollte es zumindest sein). Deren Digitalisierung ist in vollem Gange. Schon seit über einem Jahrzehnt erstellen Projektleiterinnen und Projektleiter ihre Pläne gemäss der Devise “digital first” (auch wenn sie sie anschliessend noch als altbekannte Banderole ausdrucken).
Was fehlt
Leider enden Pläne (und damit auch die Digitalisierung der Daten über die Infrastruktur) mit dem Abschluss des jeweiligen Projekts. Fordert man anschliessend Planerinnen des laufenden Unterhalts oder Einkäufer fürs nächste Erneuerungsprojekt auf, sich an den Plan zu halten, lautet die Antwort sinngemäss: “An welchen denn?”
Building Information Modelling (BIM) schafft hier Abhilfe. Infrastrukturobjekte werden von Grund auf digital modelliert und bestehen anschliessend als dreidimensionaler, digitaler Zwilling. Auf dieser Basis erstellen Planerinnen und Planer dann die zweidimensionalen Pläne für einzelne Projekte. Die Bahninfrastrukur ist damit weitestgehend digital abgebildet – zumindest was die ISB angeht.
Aktuell klaffen in der BIM-Welt allerdings noch zwei wesentliche Lücken: Gewisse Informationen zu den Details der physischen Infrastruktur hat nur der Lieferant. Dessen Entscheide, welche Komponenten – Schwellen, Schrauben, Flashkarten – genau verwendet werden, sind nicht Teil des Projektplans und damit des digitalen Zwillings. Neben diesen kleinen, aber feinen Details der Hardware werden auch die Konfigurationsdaten der Software von Sicherungsanlagen nicht zentral erfasst.
Für die ISB und teilweise sogar für den Lieferanten ist dies eine Blackbox. Braucht eine Bahn diese Daten, muss sie sie beim Lieferanten in Erfahrung bringen. Auch diese verfügen zumeist nicht über Datenbanken, über die sie Daten schnell in Erfahrung bringen können. Vielmehr sind Konfigurationsdaten in diversen Dokumenten vermerkt.
Dies schafft menschliche und maschinelle Fehlerquoten. Begeht ein Mensch bei der Dokumentierung oder der Abfrage ein Tippfehler, sind Daten nicht auffindbar. Wird eine Dokumentversion nicht richtig gespeichert, synchronisiert oder archiviert, sind Konfigurationsdaten nicht aktuell, ohne dass dies bemerkbar ist.
Fragen der Kompatibilität sind nur mit viel Aufwand zu bearbeiten. Um zu wissen, ob die Hardware der Sicherungsanlagen das neuste Update der Software verträgt, sind so viele Abgleiche nötig, wie es Pläne und Dokumentationen gibt.
Haus der Daten
Die heutige digitale Abbildung der Bahninfrastruktur entspricht dem Geldsystem vor der Schaffung einer Nationalbank inklusive eigener Währung – dem titelgebenden Haus des Geldes. Niemand weiss, wie viel Geld in Form von Daten im Umlauf ist. Es ist nicht garantiert, dass ein Zahlungsmittel akzeptiert wird – der Besitzer einer hochwertigen Goldmünze kann nicht sicher sein, dass er damit die Marktfrau bezahlen kann. Übersetzt in die Sprache der Digitalisierung: Es fehlen einheitliche Schnittstellen.
Doch auch das Behalten einer Goldmünze ist riskant: Der Markt kann jederzeit von zusätzlichem Geld oder einer anderen Währung geflutet werden. Die Analogie in der Welt der Daten: Gehortete Informationen werden plötzlich wertlos, weil sich die Technologie andernorts weiterentwickelt.
Nötig ist ein hoheitsrechtlicher Hub – eine Nationalbank gehört dem Staat; eine Bahninfrastruktur-Datensammlung entsteht am besten im Rahmen einer Systemführerschaft im Auftrag des Bundes. Dies führt zu Harmonisierung, Vergleichbarkeit und Klarheit. Die Nationalbank schafft eine einheitliche Währung und offizielle Zahlungsmittel innerhalb ihres Geltungsbereiches. Dritte können die Technologie für Zahlungsmittel zur Verfügung stellen und diese produzieren. Der Wert der besagten Goldmünze ist genau bekannt und der Besitzer hat die Wahl, ob er sie auf den Markt mitnimmt oder ein anderes Zahlungsmittel verwendet.
Übertragen auf die Bahninfrastruktur: Der Daten-Systemführer normiert Daten und Schnittstellen. Dieser Standard schafft Klarheit hüben wie drüben: beim Lieferanten und beim Eigner. Dritte bleiben im Besitz ihrer “Währung” und können Schnittstellen zur Verfügung stellen. Wenn wir davon ausgehen, dass Daten weiterhin bei Lieferanten “gelagert” werden, kann eine ISB diese über eine Schnittstelle abfragen. Die Bezahlung erfolgt bei jeder Abfrage (wie beim Bezahlen mit Apple Pay oder im Ausland mit einer Kreditkarte) oder pauschal (wie bei einem Girokonto).
Der Bund denkt übrigens in die gleiche Richtung. Anfang Februar 2022 hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf für eine Mobilitätsdateninfrastruktur in die Vernehmlassung geschickt.
Sonderfall Software
Ein Bahninfrastruktur-Datenhub hat einen zweiten grossen Vorteil: Fragen zur Kompatibilität können mit einer einzigen Abfrage beantwortet werden. Software kann zentral bereitgestellt werden. Statt dass in Stellwerken und Aussenanlagen Flashkarten ausgetauscht werden, erfolgt das sogenannte Deployment per Knopfdruck.
Selbst Nationalbanken funktionieren diesbezüglich weniger zentral: Führt ein Land eine neue Währung ein oder wird eine Banknotenserie ersetzt, ist die Nationalbank auf Banken mit effektivem Kundenkontakt angewiesen. Sie geben ab dem Stichtag nur noch das neue Zahlungsmittel heraus. Verlieren alte Noten ihre Geltung ganz, tauschen Banken diese aus. Der Druck neuer Noten erfolgt sozusagen just in time, weil einer Nationalbank nur die ungefähre Grössenordnung der Anzahl 50er-Noten im Umlauf bekannt ist.
Ob Zahlungsmittel Dritter kompatibel sind, obliegt vielfach den Verkaufenden – verfügen sie nicht über die neuste Hard- oder Software, können Kaufende ihr neuestes Zahlungsmittel nicht einsetzen.
Von Money Heist zu Datenschutz
Der englische Titel der Netflix-Serie erinnert uns daran, dass unser Vergleich nicht mit der Nationalbank an sich begann, sondern mit deren Überfall. Ob Staat oder Privatperson – lagert jemand Wertbestände an einem Ort, ist dieser ein Sicherheitsrisiko. Dasselbe gilt für die Notendruckerei als Produktionsstätte von Zahlungsmitteln (in der Schweiz im Gegensatz zu Spanien übrigens eine private Institution).
Dieselbe Gefahr droht einem Bahninfrastruktur-Datenhub. Physisch muss der Hub vollkommen redundant sein, sodass eine Lokalität wenn nötig sofort aufgegeben werden kann – egal ob der Eindringling eine maskierte Räuberbande oder ein Hochwasser ist. Auf der Software-Seite ist eine Firewall auf dem Stand der Technik absolute Pflicht.
Was bringt’s?
Die Bande in Haus des Geldes macht den Kindertraum, Bankdirektor:in zu werden, zur Realität, indem sie ihre eigenen Banknoten druckt. Ganz so viel Wert schafft der Bahninfrastruktur-Datenhub leider nicht. Trotzdem bietet er wesentliche Vorteile gegenüber dem heutigen System.
Implizites Wissen in den Daten von Lieferanten und den Köpfen von Mitarbeitenden wird zu explizitem, abrufbarem Wissen. Der eingangs erwähnte Plan wird sowohl für die Zeichnerin als auch für den Abrufenden transparent. Klassische Fehlerquellen der Datenverarbeitung verschwinden. Nichtproprietäre Schnittstellen ermöglichen neuartige Kooperationen und den Wechsel von Anbietern. Software kann einfacher, schneller und mit weniger Fehlern ausgerollt werden. Bezüglich Sicherheit setzen wir bewusst alles auf die sprichwörtliche eine Karte (respektive zwei davon) und hüten sie wie unseren Augapfel.
Mit dem bereits begonnenen Rollout von Building Information Modelling bietet sich dem Schweizer Bahnsystem eine einmalige Gelegenheit, einen Infrastruktur-Datenhub zu schaffen. Vielleicht kann der Hub sogar noch mehr Daten miteinander in Beziehung zu setzen, als BIM selbst zunächst vorsah. Und zwar ganz wie in der Netflix-Serie: Es entstehen (Daten-)Beziehungen, die es zuvor nicht gab. Wir legen zwei Pläne übereinander und können sie so beide einhalten.
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